oder
„Was hat Blitzen mit Erbsen und Möhren zu tun?“
Wenn ich an meine ersten Versuche mit einem Blitzgerät zurück denke, sehe ich vor mir eine Voigtländer Vito B und einen Blitzfächer mit eingesteckter Lampe. Auf der Rückseite des Blitzes musste man an einem Rad drehen und der richtigen Entfernung gegenüber las man die Blende ab. An die „Synchronzeit“ verschwendete ich weniger Gedanken, hatte meine Vito doch einen Zentralverschluss. So konnte ich mit kurzen Zeiten synchronisieren und hatte einen Vorteil vor den Kollegen, die sich eine Spiegelreflex leisten konnten. Die mussten nämlich beim Synchronisieren weitgehend mit einer 1/30 klar kommen. Und da drohte Ungemach in Gestalt von Verwacklung, denn die Bezeichnung „Blitz“ war damals verwegen, leuchtete doch die Blitzbirne so lange, dass die komplette 1/30 mit Blitzlicht ausgefüllt wurde.
Mit dem Erscheinen der Elektronenblitze und später der „Computerblitze“ hatte die Verwacklungsgefahr ein Ende. Nun war der Name Blitz gerechtfertigt, denn die Leuchtzeiten wurden kurz und variabel, zunächst noch mit der Messzelle im Blitz. Später wanderte die Messtechnik in die Kamera, TTL-Blitz war geboren. Was sich aber wesentlich auswirkt, ist die Tatsache, dass der Blitz die „Synchronzeit“ nicht mehr ausfüllt, sondern in einer relativ langen Synchronzeit mit seiner zusätzlichen Belichtungszeit einen Stabilitätsfaktor darstellt. Die Teile des Bildes, die weitgehend vom Blitz allein beleuchtet werden, kann man heute nicht mehr verwackeln.
Stellen wir uns den technischen Vorgang mal vor:
Die Spiegelreflexkamera hat hinter dem Spiegel den „Schlitzverschluss“, der aus dem kreisrunden Bild des Objektivs ein Rechteck ausschneidet und zunächst mit einem Lamellenvorhang die Belichtung verhindert. Im Moment des Auslösens schnappt dieser Vorhang nach unten (oder oben, je nach Hersteller oder Kameratyp) und ein zweiter Vorhang, der zusammen gefaltet auf der Lauer lag, folgt ihm in angemessenem Abstand. Dabei bildet sich ein Schlitz, der über das Bildfenster läuft. Das Bild entsteht also nicht auf einmal, sondern mit dem Schlitzverlauf.
Kurzer Abstand der Vorhände = kurze Zeit,
langer Abstand = lange Zeit.
Die erste Zeit zum Nutzen eines Blitzes ist dann erreicht, wenn der erste Vorhang schon abgelaufen, der zweite aber noch nicht gestartet ist. Das Bildfenster ist voll geöffnet und nun kann der Blitz sein Licht der Belichtung hinzufügen. Eine kürzere Zeit verbietet sich, belichten wir doch dann nur den Teil mit Blitz, der gerade vom Schlitz frei gegeben wird. Digitale Spiegelreflexkameras mit kleinem Chip kommen wegen der geringeren Schlitzhöhe früher zur Synchronzeit. Beim Vollformat hilft eine Beschleunigung des Schlitzablaufs beim Erreichen kurzer Synchronzeiten.
Was ist nun das Faszinierende dieser Technik?
Wenn wir den Vorgang analysieren, so sehen wir, dass wir beim Blitzen eine „Doppelbelichtung“ machen. Das Bild entsteht mit 1 Blende und 2 Belichtungszeiten: Eine relativ lange Synchronzeit von – je nach Kamera – 1/250 bis 30 Sekunden und eine zweite Belichtungszeit, die Leuchtzeit des Blitzgeräts zwischen 1/1000 und 1/30.000.
Eine Doppelbelichtung in „alten Zeiten“ auf Diafilm gelang dann gut, wenn die beiden zu kombinierenden Motive sich in Licht und Schatten ergänzten, d.h. der Schatten in Motiv 1 wird von Licht in Motiv 2 aufgefüllt und umgekehrt. In der Blitzpraxis ist meist eine Lichtrichtung fixiert, die des Blitzes. Wenn also dieses Licht in einer gelungenen Doppelbelichtung mit anderem Licht kombiniert wird, so sollte es den Schatten, den dieses andere Licht bildet, auffüllen. Die Idealsituation ist also das Gegenlicht, das dem Blitz Platz zum Auffüllen gibt. Das Gegenlicht wird nun von der Synchronzeit eingefangen, der Schatten mit der Blitzleuchtzeit aufgefüllt. Eine relativ lange Zeit wird mit einer kurzen Zeit kombiniert. Die lange Zeit kann ich nicht nur „Verwackeln“, ich will es manchmal sogar und komme dann zu einer schönen Konfrontation von Unscharf und Scharf mit einem Druck auf den Auslöser.
Die Dosierung der nötigen Lichtmengen überlasse ich weitgehend der Kamera, die mit ihrer Evaluative-TTL-Messung in der Lage ist, Kontraste zu messen und damit die Schattenpartien nur so weit mit Blitz auffüllt, dass die eigentliche Gegenlichtsituation nicht „tot geschossen“ wird.
Und nun hilft uns das Beispiel aus der Küche:
Wir haben einen Topf, der ISO oder ASA oder DIN heißt und so sein Fassungsvermögen kund tut. Dieser Topf soll gefüllt werden. Randvoll heißt richtig belichtet, überlaufen soll er nicht, auch nicht halb leer bleiben. Wenn man nun den Auslöser andrückt, misst die Kamera das vorhandene Licht und stellt Lücken fest, die sie mit Blitz auffüllen will. In der Küche versuchen wir also, den Topf mit Erbsen zu füllen, stellen aber fest, es reicht nicht. Da fragt die Kamera nach mehr und der Blitz bietet seine Leistung an, nennen wir das Möhren. Im Auslösemoment kommt ein „Vorblitz“, der Blitz zeigt, was er aufgeladen hat. Die Kamera vergleicht die beiden Bilder – mit und ohne Blitz - und stellt fest, dass die eben noch vorhandenen Schattenpartien nun hell sind und bittet den Blitz um die Menge Möhren, die den Topf füllen. Der Spiegel klappt hoch, die Blende schließt sich und nun entsteht aus den Erbsen (Synchronzeit mit Umgebungslicht) und den Möhren (Blitzleuchtzeit) unser Mischgemüse. Der Topf ist voll und die Belichtung ist richtig.
Und wenn nun kein Gegenlicht da ist? Wenn das Licht eines bewölkten Himmels die „Erbsen“ überall gleich verteilt?
Die Kamera ist zunächst immer geneigt, den „Erbsenzähler“ zu spielen und wenn möglich, auch ohne Blitz klar zu kommen. Wir sehen dann zwar den „Messblitz“, der Blitz zum Belichten ist dann aber so schwach, dass er kaum im Bild zu sehen ist, wenig Möhren im Topf ist die Folge. Was ist zu tun? Nun, wenn die Kamera die „Erbsen“ gezählt hat, verlange ich von ihr, Platz im Topf für mehr Möhren zu schaffen, ich verlange, die Hälfte z.B. wieder heraus zu werfen. Ich korrigiere z.B. das Umgebungslicht auf -1! Damit ist der Blitz nicht tangiert, denn der hat seine eigene Korrektur. Die Kamera hat somit wieder Platz für „Möhren“ und füllt die entstandene Lücke damit auf. Ich bekomme also eine bessere Schärfe ins Bild, denn nun übernimmt der Blitz die Führung.
Mehr Blitz bekomme ich also nicht durch eine PLUS-Korrektur am Blitz, sondern durch eine MINUS-Korrektur an der Kamera. Wenn der Topf mit Erbsen schon voll ist, so nützt es nichts, noch mehr Möhren zu wollen, sie passen nun mal nicht mehr hinein. Wer mehr Möhren will, muss Erbsen herauswerfen!
Äpfel
Wer unter einem Baume liegt, sieht die Äpfel dunkel. Der Blitz hellt sie auf. Störendes Blattwerk wird explosionsartig eliminiert, indem während der relativ langen Synchronzeit von 1/15 die Brennweite des Zooms verlängert wird. Dabei werden nur die „Erbsen“ explodieren, die „Möhren“ werden ultrakurz wirksam und sind beim Zoomen schon längst verschwunden.
Schlagzeug
Was den Äpfeln recht ist, ist der Bühnenbeleuchtung billig: „Erbsenexplosion mit Möhren“. Die Technik von 2002 liegt gleich daneben. Das ist ein Screenshot vom "Zoombrowser".
Cidre Flasche
Man nehme:
1 Flasche, stelle sie zwischen Äpfel unter ein Fenster. Das Licht vom Fenster als Gegenlicht wird „verdunkelt“ durch eine Minuskorrektur -1,6, damit wird die Wand hinten dunkler und der Blitz aufgefordert, um dieses Maß stärker zu arbeiten. Leichtes Ankippen der Kamera erhöht die Dynamik.
Synchronzeit 1/8, Blende automatisch, Mit dem Auslösen die Kamera leicht an der Flasche entlang nach unten bewegen, das Licht der Korkenverdrahtung wandert um diese Bewegung nach oben und suggeriert ein Austreten der Kohlensäure.
Licht vom Fenster = Erbsen – 1.6 werden leicht püriert, der Blitz von vorn auf der Kamera fixiert mit der ultrakurzen Zeit die Flasche.